moin Gerd,
ich glaube, es geht hier nicht um Abstimmungen oder Rechthaberei, mich interessiert das Thema einfach und ich möchte es diskutieren.
Dabei helfen praktische Erfahrungen, theoretisches Wissen und logisches Denken.
Wie Frank schrieb, gibt es wohl bei diversen Herstellern "Prüfläufe" vor der Auslieferung, bei denen der Motor, sobald er warm(!) ist, durch alle(!) Drehzahlen gezogen wird. Porsche (und ein paar hochpreisige Italiener) machen eine Inspektionsfahrt mit dem Neuwagen, um zu kontrollieren, ob alles stimmt. Dabei wird der Wagen gefordert, einmal Anschlag soll zeigen, ob alles wunschgemäß arbeitet. Die meisten anderen Hersteller scheuen so einen Aufwand, es kostet ja Geld, das der Kunde letztlich nicht zahlen will.
Nun ist ein komplett neues Fahrzeug um einiges komplexer als ein neuer Motor allein, neue Reifen brauchen z.B. ein Weilchen, bis sie angerauht sind und Grip haben, so daß die Einfahrvorschrift für das neue Fahrzeug durchaus Sinn macht. Der Käufer soll den Wagen ja nicht nach 50km am Baum abstellen.
Ein neuer oder überholter Motor in einem gebrauchten Fahrzeug ist da schon einfacher zu betrachten, es geht nur um den Motor, der Rest ist meist ausreichend eingefahren.
Wenn man die Beiträge im Internet zu diesem Thema vergleicht, kommen meist ähnliche Diskussionen 'raus. Es ergeben sich zwei gegenüberstehende Positionen:
A ist für vorsichtiges Einfahren und sagt, daß es schon immer so war und daß die Hersteller sich schon 'was dabei gedacht haben.
B ist für dynamisches Einfahren und argumentiert damit, daß die Kolbenringe zügig und bei den später gefahrenen Betriebszuständen einlaufen sollen sowie weiter mit "was soll da ansonsten passieren?"
A sind oftmals Vielfahrer, die in ihrem Leben diverse Fahrzeuge gehabt haben, meist Neufahrzeuge, die entsprechende Werte dargestellt haben.
B sind oftmals Schrauber, die diverse Motoren repariert, überholt und dann eingefahren haben, so daß sie verschiedene Einblicke in die Innereien haben.
Natürlich gibt es auch Schrauber, die wie A argumentieren und umgekehrt!
Einig ist man sich darin, daß jeder Motor vor Belastung warmgefahren gehört, also nicht kalt losbrüllen, zwei lange Striche hinterlassend (ersatzweise einen beim Moped).
Danach scheiden sich die Geister...
Während die Argumentation von A meist auf Vorstellungen und Bauchgefühl beruht, versucht B logisch zu argumentieren. Zwangsläufig kommt man an den Punkt, wo der eine etwas als Tatsache behauptet, was der andere bestreitet und dann ist die Diskussion am Ende, das Gemetzel beginnt. Damit das hier nicht so ausartet, gibt es ja Motz, äh, Mods in diesem Forum.
Zur Argumentation von B:
Man stellt heute (oder auch vor 20 oder 30 Jahren schon) Bauteile in Motoren und Getrieben mit einer Präzision her, daß ein gegenseitiges Einschaben von Bauteilen im Betrieb nicht mehr nötig oder gar gewollt ist.
Glatte Oberflächen (an Nocken, Kipphebeln, Stößeln, Zahnflanken von Getrieben o.ä.) werden glatt hergestellt, eine nachträgliche Verletzung der Oberfläche (Materialabtrag in irgendeiner Form) ist ausdrücklich unerwünscht und führt meist zu schnell fortschreitendem Verschleiß bis zum Ausfall.
Gleitlager sollten immer durch Öl von der Welle getrennt sein, ansonsten ist die Lagerschale (bei der 16V-Nocke auch schon mal die Bohrung im Zylinderkopf) schnell hinüber. Da läuft sich also auch nichts ein, um später besser zu laufen, höchstens einmal, dann aber zum letzten Mal...
Kugellager (haben wir Sechzehnventiler nicht im Motor, nur im Getriebe und im Achsantrieb) brauchen keine Einlaufzeit, da stimmt von Anfang an alles. Da ist sich A mit B komischerweise einig!
Heißt doch aber nur, daß entsprechende Herstellungsprozesse vorhanden sind, um Bauteile so herzustellen, daß sie gleich funktionieren.
Was bleibt ist die Laufbuchse samt Kolben und Ringen. Hier findet unstreitig ein Einlaufprozeß statt, da sind sich A und B einig. Über die Art und Weise gibt es prinzipiell unterschiedliche Ansichten.
Mal zur Verdeutlichung der Vorgänge im Betrieb eines Motors:
Das Kolbenhemd (alles unterhalb des Kolbenbolzens) stützt sich an der Laufbuchse ab, hier muß also geschmiert werden, damit es keinen Reiber oder Klemmer gibt. Dies wird durch Spritzöl erledigt.
Der unterste Kolbenring ist der Ölabstreifring, der dafür sorgt, daß die Zylinderwand über dem Kolben möglichst ölfrei bleibt, eine winzige Restschmierung für die beiden oberen Ringe bleibt.
Der oberste Ring ist der Verdichtungsring, der soll dafür sorgen, daß der Druck aus dem Verbrennungsraum den Kolben 'runterdrückt und nicht das Öl aus der Kurbelgehäuseentlüftung pustet
Der mittlere Ring ist ein Zwitter, er hat als Nasenring sowohl abdichtende und auch ölabstreifende Funktion.
Ziel für einen guten Motor muß es sein, daß der Verdichtungsring sauber dichtet und keine Brenngase nach unten durchläßt.
Durchblasen kostet Leistung und stellt eine ungeplante thermische Belastung für den Kolben dar. Alles ganz schlecht, sowas.
Die dynamische Einfahrmethode soll diese Dinge besser bewerkstelligen, als die vom Werk empfohlene Methode. Mit dem unter Last hohen Verbrennungsdruck werden die Verdichtungsringe ordentlich und gleichmäßig gegen die Laufbuchse gepreßt, laufen sich dort schnellstens ein und dichten anschließend perfekt. Dieselmotore haben übrigens prinzipbedingt einen wesentlich höheren Verbrennungsdruck als Ottos, da passiert das hier beschriebene von ganz allein...
Um das nochmal zusammenzufassen:
Warmfahren, wirklich warmfahren(!), dann abwechselnd Last und abtouren lassen, wechselnde Drehzahlen aber auch bis zur Höchstdrehzahl gehen und innerhalb von ca. 70km oder einer halben bis ganzen Stunde ist alles erledigt. Einfahren mit mineralischem Öl, nach den ersten 70km ein sofortiger Ölwechsel wieder mit mineralischem Öl, bei 1000km Ölwechsel mit der bevorzugten Marke und dann ist alles erledigt.
Es gibt diesen Freak (oder Spinner, ganz nach Geschmack) namens
MotoMan in den USA, der hat eindrucksvolle Fotos von (Motorrad-) Kolben, die nach seiner Methode eingefahren wurden, und nach einer Saison Rennbetrieb keinerlei Verschleiß aufweisen.
Meinungen dazu?
bis denn,
Christian
1989 300TE
1984 2.3-16